Die Konzepte von Rawls und Nozick


 

Um was geht es hierbei? Klickt euch durch die Einführungspräsentation.


John Rawls - Gerechtigkeit als Fairness

Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass Rawls Werk das einflussreichste politisch-philosophische Werk des späten 20. Jahrhunderts ist. Viele andere Philosophen haben Rawls Theory of Justice entweder aufgegriffen und weiterentwickelt, oder aber sich davon abgegrenzt. Rawls selbst steht in der Tradition der Vertragstheorie nach Rousseau und Kant und...

 

Jajaja, genug der Vorrede, wir wollen wissen, um was es dabei geht.

 

Hmpf. Also schön: Es geht um Fairness.

 

Hä? Ist das nicht das Gleiche wie Gerechtigkeit?

 

Nein.

 

Und was soll da bitte der Unterschied sein?

 

Also. Rawls argumentiert, dass unser Empfinden von Gerechtigkeit ganz maßgeblich davon beeinflusst wird, wie z.B. eine Maßnahme uns persönlich betrifft. Wir empfinden Gerechtigkeit also subjektiv. Fairness hingegen bedeutet, dass man "aus sich heraustritt" und auf eine Maßnahme von Außen schaut und sie möglichst "objektiv" bewertet.

 

Wie soll denn das gehen? "Aus sich heraustreten"?

 

Tja. Genau das ist das Geniale an Rawls Theorie. Er fordert uns zu einem relativ simplen Gedankenexperiment auf.

Dem sogenannten Schleier des Nichtwissens. Und ja. Dazu gibt's ein Video...

Das heißt, man kann sich weiterhin trefflich darüber streiten, ob dieses Gedankenexperiment zu Gerechtigkeit führt.

 

Klar. Das ist ja das schöne an Philosophie. Und unter anderem Nozick ist da gaaaaaanz anderer Meinung. Aber bleiben wir noch einen Moment bei Rawls. Das Video ist zwar gut, aber auch sehr verkürzt.

Wann also ist eine Gesellschaft nach Rawls "gerecht"? Nun, wenn "jedes Mitglied der Gesellschaft die gleichen Grundsätze der Gerechtigkeit anerkennt und es davon ausgehen darf, dass die anderen dies auch tun, gilt eine Gesellschaft als gerecht. Zudem muss gewährleistet sein, dass auch die wichtigen gesellschaftlichen Institutionen diesen Grundsätzen der Gerechtigkeit folgen. Und es braucht noch eine dritte Bedingung, damit eine Gesellschaft als gerecht gelten darf: Jeder Bürger sollte über einen Gerechtigkeitssinn verfügen, der ihn in die Lage versetzt, die Gerechtigkeitsgrundsätze zu verstehen und sie anzuwenden. Tatsächlich sollte jede Person also zwei moralische Fähigkeiten besitzen: Die erste ist das Verständnis der Gerechtigkeitsgrundsätze und die Bereitschaft, ihnen gemäß zu handeln. Die zweite ist das Vermögen, ein Verständnis des Guten auszubilden, es den Umständen anzupassen und ihm rational zu folgen." 

(Zitat aus: https://www.getabstract.com/de/zusammenfassung/eine-theorie-der-gerechtigkeit/3996)

 

Ok... und auf welche Gerechtigkeitsgrundsätze würde man sich dann unter diesem Schleier des Nichtwissens einigen?

 

Das sind nach Rawls folgende beiden:

1. "Jedermann hat gleiches Recht auf das  umfangreichste Gesamtsystem gleicher Grundfreiheiten, das für alle möglich ist."

 

(Bildquelle: https://pixabay.com/users/pixel2013-2364555/)

2. "Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten müssen folgendermaßen beschaffen sein:

 

 

 

(Bildquelle: https://pixabay.com/users/qimono-1962238/)
(a)  sie müssen unter der Einschränkung des gerechten Spargrundsatzes den am wenigsten Begünstigten den größtmöglichen Vorteil bringen, und


(b)  sie müssen mit Ämtern und Positionen verbunden sein, die allen gemäß fairer Chancengleichheit offenstehen."


Soweit so gut. Wollt ihr es nochmal als ausführlicheres Video? Bestimmt...


In a nutshell:

Wichtig ist für Rawls also Chancengerechtigkeit. Die Aufgabe des Staates besteht deswegen für ihn darin, diese Chancengleichheit/-gerechtigkeit durchzusetzen und zu fördern. Sollte es dadurch Ungleichheiten geben, ist das nicht zwangsläufig schlecht. Sie müssen allerdings zwingend der am schlechtest gestellten Personen den größtmöglichen Vorteil bringen. Sind Ungleichheiten zu groß, muss der Staat eingreifen und umverteilen, weil sonst die Chancengerechtigkeit der folgenden Generationen leidet.


Literaturempfehlungen:

 

Als Zusammenfassungen zu empfehlen sind zum einen dieser Überblick von Jörg Schroth auf ethikseite.de und zum anderen dieser Beitrag von getabstract.

Eine Brücke zur aktuellen Corona-Lage schlägt Gustav Seibt in der Süddeutschen hier und Yves Bossart fasst Rawls (inklusive Kritik) im srf auch lesenswert zusammen.

Kritisiert wurde Rawls viel, auch von einem der bekanntesten deutschen Philosophen, Jürgen Habermas. Seine Kritik zusammengefasst findet ihr hier.

Eine interessante (wenn auch längere) Diskussion über Rawls und seine Aktualität findet ihr als Audio unten.

Michael Risel diskutiert dabei mit Prof. Dr. Stefan Gosepath, Philosoph, Berlin Prof. Dr. Otfried Höffe, Philosoph, Tübingen Prof. Dr. Susan Neiman, Direktorin des Einstein Forums, Berlin.



Robert Nozick - Freiheit über alles


Umverteilung - dieses Wort wird in der politischen Arena entweder als Segensstifter gefeiert oder als Schreckgespinst an die Wand gemalt. Und warum sollte es in der philosophischen Welt anders sein? Als Robert Nozick das erste Mal Rawls Theorie gelesen hat, musste es ihm die Fußnägel gekringelt haben. Gleichheit als Voraussetzung für Gerechtigkeit? Heißt das etwa mehr staatliche Eingriffe? Oder gar wirklich... Umverteilung?? Unerhört!

In seinem Hauptwerk, "Anarchy, State, and Utopia" zeichnet Nozick deswegen einen Gegenentwurf zu Rawls, indem er in der Tradition von Locke, der den Menschen in seinem Urzustand als Person mit voller Macht über sich selbst sieht, ohne Gesellschaftsverpflichtungen und ...

 

Halt. Stop. Sie kommen schon wieder ins Schwafeln. Um was geht es zentral?

 

Ich und schwafeln? Niemals! Ich hole lediglich ein wenig aus, um euch den Zusammenhang...

 

Sagen wir ja... Sie schwafeln. Um was geht es zentral???

 

Pah... Um den gerechten Anspruch auf Besitz.

 

Aha. Und das heißt?

 

Dazu müsste ich ein wenig ausholen...

 

Na gut. Aber halten Sie sich kurz.

 

Ich versuche es. Versprochen.

 

Und? Was sollte der Staat tun?

Was Nozick antwortet, ist klar: Nein. Der Staat sollte gefälligst die Finger von dem Vermögen des Fußballers lassen.

 

Ok, das war zu erwarten. Aber warum?

 

Zunächst einmal, weil der Mensch frei ist und keinerlei Verpflichtungen der Gesellschaft gegenüber hat. Im Gegenteil: Das sei eine Teilenteignung des Rechts des Menschen an sich selbst. Wenn die Zuschauer freiwillig ihr Geld hergeben, um die Leistung des Fußballers zu sehen, ist daran nichts auszusetzen. Und andere Menschen sind dadurch nicht betroffen. Ihr Besitz wird ja nicht angetastet. Somit hat der Fußballer einen gerechten Besitzanspruch auf das Vermögen.

 

Freiheit also als Erklärung und nicht Fairness wie bei Rawls...Aber Moment. So leicht führen Sie uns nicht auf's Glatteis! Nozick spricht doch auch von "gerecht"! Was meint er damit?

 

Sehr gute Frage. Nozick definiert einen gerechten Besitzanspruch entlang dreier Maximen:

 

"1. Wer ein Besitztum im Einklang mit dem Grundsatz der gerechten Aneignung erwirbt, hat Anspruch auf dieses Besitztum.
2. Wer ein Besitztum im Einklang mit dem Grundsatz der gerechten Übertragung von jemandem erwirbt, der Anspruch auf das Besitztum hat, der hat Anspruch auf das Besitztum.
3. Ansprüche auf Besitztümer entstehen lediglich durch (wiederholte) Anwendung der Regeln 1 und 2."

 

Das bedeutet also, dass in einer Gesellschaft Besitz dann gerecht verteilt ist, wenn dieser gerecht erworben wurde und danach auch immer gerecht weitergegeben/ weiterveräußert wurde. Mit "gerecht" ist hier aber gemeint, dass man sich bei 1. einen "herrenloser" Gegenstand bzw. eine Ressource dann aneignen darf, wenn "für andere genug und gleich Gutes im Nichteigentum" bleibt und bei 2. wenn dieser Besitz dann durch Vertragsinstrumente (wie z.B. Verkauf oder Erbschaft) weitergegeben wird.

 

Das bedeutet, Diebstahl und Betrug oder sowas führt nicht zu einem gerechten Besitzanspruch.

 

Exakt.

 

Und was ist, wenn doch jemand was stiehlt?

 

Dann und nur dann muss irgendjemand - und im Generellen ist hier der Staat gemeint - eingreifen und diese ungerechte Form der Übertragung korrigieren.

 

Hmmm. Das scheint logisch.... aber... was ist, wenn niemand von einem Betrug was mitbekommt und danach etwas weiterverkauft wird. Dann weiß der Käufer das ja gar nicht und denkt, er habe einen gerechten Besitzanspruch?

 

Ja. Das ist einer der zentralen Kritikpunkte an Nozicks Theorie. Und dennoch stellt er berechtigte Fragen in Richtung Rawls.

Ist Gerechtigkeit denn nicht eher eine Ableitung von Verteilung? Und ist nicht deswegen das Zustandekommen und nicht die Verteilung von Besitz das entscheidende Kriterium? Wenn diese Besitzverteilung gerecht zustande gekommen ist, dann kann sie doch gar nicht ungerecht sein, oder? Warum sollte der Staat die Freiheit seiner Bürgerinnen und Bürger einschränken dürfen, um eine selbst definierte Ungerechtigkeit (die gar nicht ungerecht ist) ausgleichen zu wollen? Begeht er dadurch nicht selbst eine Ungerechtigkeit?

 

Stopstopstop, uns schwirrt der Kopf vor lauter Fragen. Da müssen wir erst drüber nachdenken.

 

Tut das. Schaut euch aber vorher unten stehendes, zusammenfassendes Video an. Und dann werft einen Blick auf die Literaturempfehlungen.

(Zitate aus Nozick 1974)


In a nutshell:

Für Nozick steht die Freihheit des Einzelnen im Mittelpunkt. Diese Freiheit führt dazu, dass die Menschen keine Verpflichtungen gegenüber Gesellschaft und Staat haben. Unterschiedliche Besitzverhältnisse sind - ebenfalls abgeleitet aus dieser Freiheit aber auch aus dem Prinzip der Leistungsgerechtigkeit - nicht ungerecht, solange sie gerecht (fast schon zu ersetzen mit "legal") zustande gekommen sind. Hierfür formuliert Nozick drei Maxime. Diese funktionieren, ohne, dass der Staat eingreift. Nur bei Missbrauch oder Einschränkung der persönlichen Freiheit kommt der Stat ins Spiel: Er soll also lediglich dafür sorgen, dass diese gerechten Besitzansprüche durchgesetzt werden.

 


Literaturempfehlungen:

 

 Einen sehr schönen Überblick über Verteilungsgerechtigkeit von Prof. Dr. Julian Fink, in der auch Nozick eine Rolle spielt, findet ihr hier. Eine sehr kurze, dadurch aber auch überschaubare Buchbesprechung von Nozicks Klassiker ist hier zu finden. Ebenfalls eher zusammenfassend ist dieser Artikel von delphipages. Ausführlicher und aus dem Blickwinkel der Rechtstheorie bietet diese e-learning Vertiefung der Universität Zürich eine interessante Perspektive.

 

Und wer zusätzlich zu einer Diskussion über die beiden Philosophen Rawls und Nozick noch sein Englisch schärfen möchte, der möge unten stehende halbstündige Diskussion von der Uni Oxford anschauen.