Bildungspolitik



Zusätzlich zu oben stehender Einleitungspräsentation möchte ich euch diesen Bericht ans Herz legen.


Beispielklausur


Eine Klausur zum Thema Bildungspolitik könnte zum Beispiel so aussehen:

  1. Analysieren Sie den Zustand der Chancengerechtigkeit im Bildungsbereich in Deutschland anhand der Materialien M2 - M5.
  2. Vergleichen Sie die Positionen zur Bildungsgerechtigkeit, die in M6 und M7 präsentiert werden.
  3. Bewerten Sie Möglichkeiten des Staates, die Chancengerechtigkeit im Bildungssystem zu erhöhen.

oder: Sie wurden als Key Note Speaker zu einem Kongress politischer Nachwuchsorganisationen eingeladen. Gestalten Sie eine Rede zum Thema: "Ist das deutsche Bildungssystem am Boden?"


M1: Grundgesetz


M2: Schulbesuch der Kinder nach Bildungsabschluss der Eltern in Deutschland - Statista (2015)

Infografik: Bildung der Eltern beeinflusst Schulwahl der Kinder | Statista

M3: Bildungsmobilität im weltweiten Vergleich - Statista 2014

Infografik: Bildungsmobilität in Deutschland verbesserungsbedürftig | Statista

M4: Bildungsabschlüsse von Deutschen und Ausländern im Vergleich - Mediendienst Integration 2020


M5: Abiturientenquote nach Geschlecht von 1950 - 2019 - BpB 2020


M6: Ungleiche Bildungschancen: “Lehrer lernen, Michael zu unterrichten, Muhammed aber nicht” - RND 2020

 

Frau Erkurt, das große Thema in Ihrem aktuellen Buch “Generation haram” ist Bildungsungerechtigkeit an Schulen. Ihre These ist: Nur Kinder mit bildungsnahen Eltern haben überhaupt eine Chance. Warum?

 

Die meisten Schulen setzen voraus, dass es zu Hause Eltern gibt, die helfen. Dabei ist es egal, ob es sich um Hausaufgaben handelt, lernen für Tests oder Referate. Als selbstverständlich gilt auch, dass man daheim gewisse Dinge zum Lernen hat, einen Schreibtisch, einen Computer, das Internet. Der tatsächliche Normalzustand ist aber ein ganz anderer. Gerade Kinder aus ärmeren Familien mit nicht so gebildeten Eltern haben das alles oft nicht – und scheitern.

 

Sie haben selbst einen Migrationshintergrund, kamen als Flüchtlingskind 1992 während des Jugoslawien-Kriegs aus Bosnien-Herzegowina. Sie betonen in Ihrem Buch, dass auch Sie der “Verlierergeneration” entstammen. Warum ist Ihnen das wichtig?

 

Weil man sonst Menschen wie mich hernimmt und sagt: Schaut, es geht doch. Das ist die Melisa, 29 Jahre alt, Lehrerin, Journalistin, sie hat es geschafft. Die Bedingungen können also nicht so schlecht sein. Das stimmt aber nicht. Die meisten meiner Schülerinnen beispielsweise werden den Aufstieg nicht schaffen. Verliererkindern wird zudem oft eingeredet, sie seien Einzelfälle. Sie sind es aber nicht. Ihre Diskriminierung, der Rassismus gegen sie, hat System. […]

 

Ihr Abitur liegt zehn Jahre zurück. Gibt es diesen Automatismus Migrant gleich Hauptschule noch?

 

Er ist da, das zeigen schon die Zahlen darüber, wer in welchem Schultyp ist. […] Die Lernbedingungen zu Hause sind einfach zu schlecht. So viele haben in der Wohnung keinen Platz zum Lernen, müssen nachmittags ihren Eltern helfen, dolmetschen, Behördengänge machen, auf Geschwister aufpassen. Klasse für Klasse werden mehr aussortiert. […]

 

Sie kritisieren, dass Lehrer lernen, Michael zu unterrichten, Muhammed aber nicht. Was meinen Sie damit?

 

Ich habe selbst Lehramt studiert, ich hatte kaum Pflichtveranstaltungen zu Mehrsprachigkeit und Multikulturalität. Wie aber soll der Rassismus in der Schule verschwinden, wenn wir ihn im Studium gar nicht thematisieren? Wenn es keine Supervision für Lehrer gibt, nicht einmal eine Stelle, wo man jemanden melden kann, der sich falsch verhält? Es bleibt alles hinter verschlossener Klassenzimmertür. Dabei bringen auch Jungen wie Muhammed Ressourcen mit, die man nutzen könnte: Mehrsprachigkeit, Selbstständigkeit. Die Muhammeds füllen mit zwölf Jahren Behördenformulare aus, die andere mit 20 zum ersten Mal sehen.

 

Sie empfehlen mehr Personal mit Migrations-, mit muslimischem Hintergrund. Nun gibt es das Gegenargument, dass für Kinder mit Migrationshintergrund gerade Vorbilder wichtig sind, die die Werte der Mehrheitsgesellschaft teilen: Emanzipation, Freiheit, freien Umgang mit Körperlichkeit. Was sagen Sie ihnen?

 

Das schließt sich nicht aus. Auch viele Migranten und Muslime teilen diese Werte. Jugendliche vertrauen Menschen, die ihnen ähneln, aber viel mehr an. Sie haben das Gefühl, dass Personen mit bürgerlichem Hintergrund sie gar nicht verstehen. Umgekehrt gilt auch: Wenn muslimische Jungen sich beispielsweise muslimischen Mädchen gegenüber sexistisch verhalten, dann erklären sie meinen Kollegen oft: Sie verstehen das nicht, das ist unsere Kultur. Mir als Muslima können sie damit nicht kommen. Ich verstehe sie sehr gut, und weiß gerade deshalb, dass sie sich nicht richtig verhalten. [...]

 

Sie schreiben, Corona habe die Bildungsungerechtigkeiten durch das Homeschooling weiter verschärft. Was kann man tun?

 

Eine Ganztagsschule würde helfen. Sie müsste kostenlos sein, dürfte keine Strafe für Ali, Melisa und Hülya sein, sondern es müssten alle hingehen. Lernen findet auch am Nachmittag statt, und es ist ungerecht, wenn Eltern mit Geld ihren Kindern den privaten Musik- oder Theaterunterricht bezahlen, während die Ärmeren im Park herumhängen und Blödsinn machen. Es müsste klar sein, dass die Kinder daheim nichts mehr brauchen, keine Unterstützung von den Eltern, keinen Schreibtisch. Dazu wäre eine Lehrerausbildung wichtig, die sich an die Kinder von heute anpasst. Die Gesellschaft hat sich gewandelt, die Ausbildung ist seit vielen Jahren dieselbe geblieben. So funktioniert das nicht.

(Quelle: https://www.rnd.de/familie/ungleiche-bildungschancen-lehrer-lernen-michael-zu-unterrichten-muhammed-aber-nicht-RIS2YJHUX5B4FGMWIET2M5OJC4.html (gekürzt)

 


M7: Bildungsforscher Prof. Dr. Aladin El-Mafaalani im Interview - Bildungschancen 2020

 

Herr El-Mafaalani, wie schätzen Sie die Bildungssituation in der Corona-Krise ein?

 

Wir hatten 6 Monate ohne regulären Schulbetrieb [im ersten Lockdown] und wissen, dass bereits lange Sommerferien negative Auswirkungen auf die Lernentwicklung vieler Kinder aus benachteiligten Milieus haben können. Zudem wurden Kinder und Jugendliche auch in vielen anderen Bereichen, enorm eingeschränkt, denken Sie etwa an Sport, Musik, Kunst und andere Freizeitaktivitäten.

 

Denken Sie, dass Homeschooling, vor allem für Kinder aus bildungsferneren Milieus, zur Benachteiligung werden kann? Wenn ja, woran kann das liegen?

 

Homeschooling hat für alle Schülerinnen und Schüler eine große Umstellung bedeutet. Wie gut Fernunterricht tatsächlich funktioniert, hängt sehr stark davon ab, wie die Lebenssituation der Kinder zu Hause aussieht. Können die Eltern beim Lernen unterstützen? Gibt es guten Zugang zum Internet und zu digitalen Tools? Ist eine geeignete und ausreichend ruhige Lernatmosphäre gegeben? Außerdem müssen die Kinder damit klarkommen, deutlich weniger Kontakt zu Mitschülerinnen und Mitschülern und Lehrkräften zu haben. Leistungsschwächere Kinder und Jugendliche haben natürlich umso größere Probleme, wenn sie auf sich allein gestellt sind.

 

Werden Ungleichheit und Ungerechtigkeit im Bildungswesen in der Corona-Kriese besonders deutlich? Welche Lehren kann man aus der Situation ziehen?

 

An der Bildungssituation in Deutschland gibt es immer viel Kritik. Als Homeschooling auf der Tagesordnung stand und Kinder zu Hause lernen mussten, wird die Arbeit in den Bildungseinrichtungen hoffentlich wieder mehr gewertschätzt. Nicht nur Bildungswissenschaftler:innen erkennen jetzt sehr deutlich, dass das Risiko von Ungleichheit und Ungerechtigkeit steigt, wenn kein regulärer Unterricht stattfindet. […] Ungleichheit [entsteht aber] nicht primär in den Schulen, sondern [resultiert] aus den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. In Deutschland werden Menschen nie wieder so gleich behandelt wie in der Schule. Man kann den Schulen vielleicht vorwerfen, dass sie Ungleichheit nicht in dem Maße bekämpfen, wie man es sich wünschen würde, aber die Ungleichheit zwischen den Kindern entsteht nicht ursächlich in der Schule, sondern außerhalb.

 

Wie kann man die Ungerechtigkeit ausgleichen?

 

Ich lege den Fokus nicht primär auf die Strukturebene, also auf das mehrgliedrige und damit selektive Schulsystem, und auch nicht auf den Unterricht und die Lehrkräfte. Neben den Lehrkräften bedarf es ausgebildetes Personal, das sich im Ganztagsbereich mit den Kindern beschäftigt und Ungleichheiten außerhalb des Unterrichtes in den Blick nimmt. Aktuell sehe ich Deutschland dafür in einer guten Situation: Die Ganztagsschulen wurden bereits ausgebaut, und es gibt sehr viele Vereine, die gerade das Problem haben, Nachwuchs zu finden. Es fehlt an Zuwachs, weil die Kinder mittelmäßig betreut in den Ganztagsschulen sitzen. Die Vereine würden gerne in die Schulen kommen, das Problem ist, dass die Infrastruktur dafür nicht vorhanden ist. Von den Schulleitern kann jedoch nicht erwartet werden, dass diese allein ein umfassendes und abwechslungsreiches Nachmittagsangebot mit Externen koordinieren, dafür wird zusätzliches Personal benötigt, multiprofessionelle Teams. Hinzu kommt, dass der Schulbau nicht den benötigten Anforderungen entspricht. Es gibt noch viel zu tun, aber die Fachkräfte wären da. Es muss nur eine Zusammenführung stattfinden. Die Kunst-, Sport- und Kulturangebote sind da, die größte Herausforderung ist also die Umorganisation. […]

 

Haben Sie als Sohn syrischer Einwanderer Ungleichheit im Bildungsbereich selbst erlebt?

 

Meine Eltern sind aus Syrien gekommen, ich bin in Deutschland geboren. Ich selbst habe tatsächlich vergleichsweise wenig Ungerechtigkeit erleben müssen. Ich bin privilegiert aufgewachsen, meine Eltern haben beide studiert. Allerdings gab es bei Mitschülern in der Grundschule – spannenderweise überwiegend ohne Migrationshintergrund –, die meines Erachtens mindestens genauso talentiert waren wie ich, ungleiche Chancenverteilung. Je älter wir wurden, desto weiter entwickelten sich die Lebensläufe auseinander. Wenn man von Bildungschancen spricht, hat der Migrationshintergrund kaum einen statistisch messbaren Effekt, sondern viel mehr die soziale Herkunft und das Bildungsniveau der Eltern.

 

Andere Länder wie Dänemark, Norwegen oder Finnland zeigen, dass eine stärkere Entkoppelung vom sozialen Hintergrund des Kindes und dem Bildungsweg möglich ist bei gleichzeitigen hohen Kompetenzen insgesamt. Woran liegt das und was kann Deutschland daraus lernen und ändern?

 

Viele führen die positiven Entwicklungen in Skandinavien auf das Einheitsschulsystem zurück, das viel später selektiert. Für mich ist viel entscheidender, dass wir in Deutschland in den Schulen fast ausschließlich ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer beschäftigen und damit stark vom skandinavischen System abweichen. Ich frage mich, warum nicht gesehen wird, dass in Skandinavien mit multiprofessionellen Teams umfassender gearbeitet wird. Von Musik- und Sportangeboten bis hin zu Kursen, die sich mit Ernährung und allgemein mit Gesundheit beschäftigen. Es gibt dadurch ein hohes Potenzial, präventiv und fördernd zu wirken. Denn Lehrkräfte alleine können nicht alle Herausforderung meistern, die sich neben dem Unterricht ergeben. Das deutsche Schulsystem grundlegend zu ändern, bevor wir robuste Ganztagsschulen mit multiprofessionellen Teams haben, die gut ausgestattet sind, hat keinen Sinn. Die Reihenfolge ist hier ganz entscheidend. [...] Der Ausbau der Kitas und der Ganztagsschulen ist extrem beeindruckend. Jetzt muss man zehn Jahre intensiv daran arbeiten, diesen quantitativen Ausbau mit einer entsprechenden Qualität durch die Einstellung von Psychologen, Sozialarbeitern und Kunst- und Kulturpädagogen zu ergänzen. Mittlerweile ist eine Sensibilität für die Notwendigkeit entstanden, hier etwas zu unternehmen. Auch Lehrkräfte und Eltern sind heute einverstanden. Das war vor einigen Jahren noch nicht der Fall. Denn ein qualitativ hochwertiges Angebot am Nachmittag vertreibt vor allem bei Eltern aus dem Bildungsbürgertum das schlechte Gewissen, die Kinder bis zum Nachmittag in der Schule betreuen zu lassen, um selbst Karriere zu machen. Arme und reiche Eltern – hier kann man von einem historischen Einzelfall sprechen – haben ganz ähnliche Bedürfnisse.[...] Es fehlt im Prinzip nur noch eine starke Initiative, die den Entwicklungsprozess an den Schulen anstößt und langfristig begleitet.

(Quelle: https://www.bildungschancen.de/interview-el-mafaalani/ (gekürzt))