zu erledigen bis: Kalenderwoche 9 (erste Stunde der Woche)


Hintergrundmaterial zur eigenständigen Bearbeitung:

  1. Arbeite aus M1 die wichtigsten Informationen heraus. Es handelt sich um eine gute Annäherung an den Inhalt von "Das Kapital".
  2. Unter DIESEM LINK findet ihr einen Debattenbeitrag eines der bekanntesten deutschen Ökonomen (allerdings auch ein sehr... umstrittener bzw. streitbarer) zum Wert Marx' Theorie in der heutigen Zeit. Eine sehr interessante Lektüre
  3. Uner DIESEM LINK findet ihr eine Dokumentation über Adam Smith und sein Hauptwerk. Wie M1 handelt es sich um eine gute Vertiefung.
  4. Arbeite aus M2 heraus, in wiefern sich die Sicht des Philosophen Streminger gegenüber den gängigen Interpretationen von Smith unterscheidet.
  5. M3 - M5 sind Wiederholungsmaterialien zu Angebot und Nachfrage sowie zum Homo Oeconomicus und dessen Widerlegung.

M1: A Traveller’s Guide. Karl Marx' Programm einer Kritik der politischen Ökonomie

 

Das Hauptwerk von Karl Marx erschien erstmals vor 150 Jahren; es stellt den ersten Band seines Programms einer "Kritik der politischen Ökonomie" dar und ist dem "Produktionsprozess des Kapitals" gewidmet. Marx selbst konnte zu seinen Lebzeiten noch die zweite Auflage dieses ersten Bandes realisieren und verschiedene Übersetzungen selbst anfertigen oder begleiten. Der zweite und der dritte Band seines Forschungsprogramms wurden postum von Friedrich Engels herausgegeben; gleiches gilt für die dritte und vierte Auflage des ersten Bandes, von denen letztere in der deutschsprachigen Marxrezeption kanonisch geworden ist und auch in diesem Beitrag verwendet wird.[1]

 

Im Folgenden sollen "Kurzreisenden" einige der zentralen Gedanken präsentiert und in Form kurzer Erläuterungen zugänglich gemacht werden. Angesichts der Komplexität und des Reichtums der marxschen Theorie kann ich hier nur eine Auswahl bieten. Deshalb seien die beiden Auswahlkriterien genannt, die diesem "Reiseführer" zugrunde liegen: Erstens werden zentrale Theoriebausteine präsentiert – nicht die in "Das Kapital" zahlreich zu findenden, glänzend geschriebenen Darstellungen historischer Umstände. Erstere, nicht Letztere machen die Aktualität der marxschen Analyse aus und sind ohne Erläuterungen nur schwer verständlich. Zweitens hat Marx sein Forschungsprogramm als Kritik der politischen Ökonomie verstanden; sie ist eine kritische Sozialphilosophie und keine ökonomische Theorie im Sinne einer empirischen Einzelwissenschaft. Entgegen einem bis heute weit verbreiteten Missverständnis gilt es, den genuin philosophischen Charakter der marxschen Konzeption zu erkennen und anzuerkennen. Dies soll mit der Zitatauswahl unterstrichen werden. Das Denken von Marx ist als kritische Gesellschaftstheorie nach wie vor aktuell und sollte nicht als ökonomische Theorie des 19. Jahrhunderts ins Museum der heute überholten Ideen gestellt werden.

 

"Zur Vermeidung möglicher Mißverständnisse ein Wort. Die Gestalten von Kapitalist und Grundeigentümer zeichne ich keineswegs in rosigem Licht. Aber es handelt sich hier um die Personen nur, soweit sie die Personifikation ökonomischer Kategorien sind, Träger von bestimmten Klassenverhältnissen und Interessen. Weniger als jeder andere kann mein Standpunkt, der die Entwicklung der ökonomischen Gesellschaftsformation als einen naturgeschichtlichen Prozeß auffaßt, den einzelnen verantwortlich machen für Verhältnisse, deren Geschöpf er sozial bleibt, sosehr er sich auch subjektiv über sie erheben mag." (S. 16)

 

Schon im Vorwort zur ersten Auflage bemüht sich Marx vorbeugend darum, seine Konzeption vor Missverständnissen zu schützen. Hier weist er darauf hin, dass es ihm weder um eine moralische Kritik des Kapitalismus geht, noch die Zuschreibung moralischer Schuld an einzelne Individuen beabsichtigt ist. Gegenstand ist vielmehr die strukturelle Analyse der Funktionsweise, der Leistungsstärke, aber auch Leistungsgrenze eines ganz bestimmten ökonomischen Systems: des Kapitalismus. Es geht nicht um individuelle Personen und deren individuelle Absichten, sondern um sozial-funktional definierte Rollen, die den Individuen in diesem System zukommen.

 

Diese Bemerkung des Vorworts wirft Fragen auf, die die Auslegung der Konzeption von Marx bis heute beschäftigen: Hat seine Kritik des Kapitalismus überhaupt keine moralische Dimension? Was ist damit gemeint, dass historische Prozesse als naturgeschichtlich begriffen werden? Vertritt Marx einen geschichtsphilosophischen Determinismus, in dem ökonomische Strukturen einen alternativlosen Entwicklungspfad festlegen, den man nur theoretisch erläutern und prognostizieren kann? Tragen Menschen in den Augen von Marx für ihr Handeln, für ihr Engagement oder für ihre Passivität moralisch keinerlei Verantwortung? Und schließlich: Erübrigt sich, wenn es diese naturgeschichtliche Determination gibt, nicht jede Theorie politischer Aktion?

 

"Allerdings muß sich die Darstellungsweise formell von der Forschungsweise unterscheiden. Die Forschung hat den Stoff sich im Detail anzueignen, seine verschiednen Entwicklungsformen zu analysieren und deren innres Band aufzuspüren. Erst nachdem diese Arbeit vollbracht, kann die wirkliche Bewegung entsprechend dargestellt werden. Gelingt dies und spiegelt sich nun das Leben des Stoffs ideell wider, so mag es aussehn, als habe man es mit einer Konstruktion a priori zu tun. Meine dialektische Methode ist der Grundlage nach von der Hegelschen nicht nur verschieden, sondern ihr direktes Gegenteil. Für Hegel ist der Denkprozeß, den er sogar unter dem Namen Idee in ein selbständiges Subjekt verwandelt, der Demiurg des Wirklichen, das nur seine äußere Erscheinung bildet. Bei mir ist umgekehrt das Ideelle nichts andres als das im Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materielle." (S. 27)

 

Auch im Nachwort beklagt Marx sich über die Missverständnisse, die sein Buch hervorgerufen hat: "Die im ‚Kapital‘ angewandte Methode ist wenig verstanden worden" (S. 25). Er versucht, Abhilfe zu schaffen, und weist auf zwei Punkte hin, die sachlich eng zusammenhängen.

 

Auf der einen Seite gibt es die Darstellungsweise, die er in seiner Konzeption gewählt hat, um die Struktur des Kapitalismus als ein sich selbst ausdifferenzierendes und selbst stabilisierendes System (allerdings mit internen Destabilisierungstendenzen) als "innres Band" entfalten zu können. Davon zu unterscheiden ist auf der anderen Seite die Darstellung der historischen Prozesse, durch die sich diese Struktur als dominante "Gesellschaftsformation" etabliert hat. Damit steht für den Leser eine bei der Lektüre des Buches nicht immer leicht zu beantwortende Interpretationsfrage im Raum: Bewegt sich die marxsche Argumentation an einer bestimmten Stelle auf der Ebene der strukturellen (und begrifflichen) Entfaltung, oder wird ein historischer Prozess mit den Mitteln empirischer Daten dargestellt? Marx möchte hier offensichtlich das Missverständnis ausräumen, er betreibe in seinem Buch eine ahistorische Kategorienlehre und habe nicht die realen sozialen Prozesse zum Ausgangspunkt seiner Konzeption gemacht.

 

Mit dieser von Marx vorgenommenen Unterscheidung ist ein Problem verbunden, das die Forschung bis heute nicht endgültig lösen konnte: Wie verhält sich die von Marx gewählte Methode zu der von Georg Wilhelm Friedrich Hegel, einem Hauptvertreter des Deutschen Idealismus? Marx hat Hegel Zeit seines Lebens nicht nur als das letzte Wort der Philosophie anerkannt, sondern sich auch mehrfach "offen als Schüler jenes großen Denkers" (S. 27) bekannt. Die Ausführungen von Marx sind jedoch nicht frei von Unklarheiten: Einerseits findet sich die Aussage, er habe Hegels Methode in transformierter Form übernommen. Gleichzeitig spricht er andererseits auch davon, er "kokettierte" (ebenda) nur gelegentlich mit Hegels Ausdrucksweise. Während Ersteres für einen theoriekonstitutiven Einfluss der hegelschen Philosophie spricht, legt Letzteres einen nur äußerlichen Bezug nahe. Die Bemerkung im Nachwort, seine Methode sei das direkte Gegenteil der hegelschen, stützt die erstere Lesart, denn ein direktes Gegenteil lässt sich nicht unabhängig von der Position definieren, deren Gegenteil sie ist.

 

Hegel hat den Anspruch erhoben, alle empirischen Sachverhalte in sein philosophisches System als Aspekte einer Selbstentfaltung der Idee zu integrieren. Vor diesem Hintergrund wird der Hinweis von Marx, seine eigene Theorie könne den Anschein erwecken, eine "Konstruktion a priori" zu sein, verständlich: Auf der Ebene der Darstellung gibt es eine Entsprechung zu Hegel. In der Frage aber, wo die eigentlichen Triebfedern der historischen Prozesse zu suchen sind, vertritt Marx die gegenteilige These: Nicht die Idee produziert das Materielle, sondern das Ideelle ist abhängiger Ausdruck der realen materiellen Prozesse. Anders gesagt: Auf der Ebene der Organisation der Theorie (sprich der Darstellung) gibt es zwischen der hegelschen und der marxschen Dialektik einen konstitutiven Zusammenhang. Auf der Ebene der materiellen Thesen dagegen vertritt Marx das genaue Gegenteil der hegelschen Position. Es liegt auf der Hand, dass Marx mit dieser komplexen Konstellation bei seinen Lesern bis heute ein erhebliches Maß an Irritation und Verwirrung gestiftet hat.

 

"Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine ‚ungeheure Warensammlung‘ (…), die einzelne Ware als seine Elementarform." (S. 49)

 

Mit diesem Satz eröffnet Marx "Das Kapital". Unscheinbar, fast lapidar formuliert, verführt er die Leser dazu, seine drei zentralen Botschaften zu übersehen: Es geht erstens von Anfang an um die kapitalistische Gesellschaftsformation, auch wenn die Analyse bei der einzelnen Ware ihren Anfang nimmt. Einzelne Waren gibt es auch außerhalb dieser spezifischen Gesellschaftsformation, aber in der marxschen Analyse wird der Kontext des Kapitalismus an keiner Stelle verlassen.

 

Mit der Rede von Elementarform spielt Marx zweitens auf sein Verfahren an, aus den einfachsten Formen die Komplexität des Gesamtsystems zu entwickeln. Zugleich deutet er durch die Verwendung von "Form" aber an, dass es um Entwicklung und nicht um die Reduktion eines Ganzen auf die Summe von unabhängig existierenden Atomen und deren Zusammenspiel geht. Marx ist durchgehend der Diagnostiker eines Gesamtsystems, auch wenn er sich die kleinsten Formen anschaut, in denen dieses System angelegt ist.

 

Drittens wählt Marx ganz gezielt die Relation "erscheint", die im direkten Bezug zum "innern Band" und der hegelschen Dialektik zu lesen ist. Die marxsche Konzeption ist über das gesamte Buch hinweg mittels der Denkfigur des Innen-und-Außen, des Gegensatzes von Wesen und Erscheinung, organisiert. Die philosophische Modellierung dieser Denkfigur ist einer der zentralen Orte, an denen seine Transformation der hegelschen Dialektik vonstattengeht. Sie ist zugleich ein Beleg dafür, dass das marxsche Theorieprogramm einer Kritik der politischen Ökonomie philosophischer und nicht einzelwissenschaftlicher Natur ist. Es geht darum, adäquate "Kategorien für Erscheinungsformen wesentlicher Verhältnisse" zu entwickeln und im Kopf zu behalten, "daß in der Erscheinung die Dinge sich oft verkehrt darstellen" (S. 559).

 

"Es kommt damit zum Vorschein, daß die Wertgegenständlichkeit der Waren, weil sie das bloß ‚gesellschaftliche Dasein‘ dieser Dinge ist, auch nur durch ihre allseitige gesellschaftliche Beziehung ausgedrückt werden kann, ihre Wertform ihre gesellschaftlich gültige Form sein muß." (S. 81)

 

Marx unterscheidet zwischen dem Gebrauchswert, den eine Ware hat, weil sie ein (für den Einzelnen) nützliches Ding ist, und ihrem Wert, der eine intersubjektive Geltungsdimension darstellt und damit eine gesellschaftliche Beziehung. In kapitalistischen Gesellschaften liegt dieser Wert in einer seiner möglichen Ausprägungen als Tauschwert vor. Die marxsche Analyse des Kapitalismus ist eine Explikation dieses Gefüges sozialer Relationen; der Motor sowohl der begrifflichen Entwicklung seiner Theorie als auch der sozialen Veränderungen entspringt Marx zufolge aus den widersprüchlichen Verhältnissen, die dieses Relationsgefüge im Kapitalismus angenommen hat. Der doppelte Sinn seines Programms ist gewollt: Die politische Ökonomie steht für die ökonomischen Verhältnisse und für ideologische Theorien über diese Verhältnisse. Beide werden von Marx einer Kritik unterzogen.

"Die Gleichheit der menschlichen Arbeiten erhält die sachliche Form der gleichen Wertgegenständlichkeit der Arbeitsprodukte, das Maß der Verausgabung menschlicher Arbeitskraft durch ihre Zeitdauer erhält die Form der Wertgröße der Arbeitsprodukte, endlich die Verhältnisse der Produzenten, worin jene gesellschaftlichen Bestimmungen ihrer Arbeiten betätigt werden, erhalten die Form eines gesellschaftlichen Verhältnisses der Arbeitsprodukte. Das Geheimnisvolle der Warenform besteht also einfach darin, daß sie den Menschen die gesellschaftlichen Charaktere ihrer eignen Arbeit als gegenständliche Charaktere der Arbeitsprodukte selbst, als gesellschaftliche Natureigenschaften dieser Dinge zurückspiegelt, daher auch das gesellschaftliche Verhältnis der Produzenten zur Gesamtarbeit als ein außer ihnen existierendes gesellschaftliches Verhältnis von Gegenständen. (…) Es ist nur das bestimmte gesellschaftliche Verhältnis der Menschen selbst, welches hier für sie die phantasmagorische Form eines Verhältnisses von Dingen annimmt. (…) Dies nenne ich den Fetischismus, der den Arbeitsprodukten anklebt, sobald sie als Waren produziert werden, und der daher von der Warenproduktion unzertrennlich ist." (S. 86f.)

 

Wenn Wert in der sozialen Form des Tauschwerts realisiert wird, werden Äquivalente ausgetauscht: Drei Stunden Backarbeit, die sich in 50 Broten vergegenständlicht, werden mit zwei Stunden Tischlerarbeit, die sich in einem Stuhl vergegenständlicht, gleichgesetzt, indem 50 Brote gegen einen Stuhl getauscht werden. Der Tausch ist, so die marxsche Grundannahme, möglich, weil auf beiden Seiten ein Identisches steht – menschliche Arbeit (in unterschiedlicher Form als Bäcker- und Tischlerarbeit). Hierin manifestiert sich die fundamentale Sozialität des Menschen, der als Arbeiter an einem universalen Gattungsvermögen partizipiert. In einer kapitalistisch organisierten Gesellschaftsformation erscheint diese Gattungsnatur des Menschen jedoch in einer mehrfach verkehrten Form.

 

Für die tauschenden Warenbesitzer erscheint ihre eigene soziale Natur nur indirekt als Eigenschaft der Waren. Der Tauschwert wird nicht als soziale Gestaltung der gemeinsamen menschlichen Arbeitskraft verstanden, sondern als dingliche Eigenschaft der Waren als materielle Einzeldinge wahrgenommen.

 

In Tauschbeziehungen können die sozialen Strukturen von den Tauschenden nicht direkt als soziale Interaktionen verstanden werden. Sie begreifen die sozialen Verhältnisse, die sich in der Tauschwertrelation manifestieren, vielmehr als Relationen, die durch die Eigenschaften der Waren als materielle Dinge in den Tauschaktionen erst entstehen. In der marxschen Theorie ist der Tauschwert eine genuin soziale Relation, in der Wahrnehmung der Beteiligten eine abhängige Größe, die sich aus der Konstellation von Eigenschaften, die den Waren als materielle Einzeldinge zukommen, auf dem Markt ergibt. Das grundlegende soziale Verhältnis wird, wie Marx an späterer Stelle schreibt, "in sein Gegenteil verkehrt" (S. 559). Im Verlauf seiner Analyse führt er anhand der Beispiele Arbeitsteilung und kapitalistische Planung komplexer Produktionsabläufe aus, wie dieses "Gattungsvermögen" (S. 349) des Menschen als Konstellation von Dingen erscheint und nur unter der Fremdbestimmung des Kapitalisten entwickelt wird, anstatt als soziale Natur des Menschen direkt unter seiner autonomen Kontrolle zu stehen.

 

Die Verkehrungen, in denen Soziales als geheimnisvolle Macht von materiellen Einzeldingen wahrgenommen wird, nennt Marx Fetischismus. Er ist ein unaufhebbares Merkmal jeder warentauschenden und damit auch der kapitalistischen Gesellschaftsformation.

 

"Was nur für diese besondre Produktionsform, die Warenproduktion, gültig ist, daß nämlich der spezifisch gesellschaftliche Charakter der voneinander unabhängigen Privatarbeiten in ihrer Gleichheit als menschliche Arbeit besteht und die Form des Wertcharakters der Arbeitsprodukte annimmt, erscheint, vor wie nach jener Entdeckung, den in den Verhältnissen der Warenproduktion Befangenen ebenso endgültig, als daß die wissenschaftliche Zersetzung der Luft in ihre Elemente die Luftform als eine physikalische Körperform fortbestehen läßt." (S. 88)

 

Die Kritik der politischen Ökonomie kann diese Verkehrungen theoretisch explizieren. Doch weil sich die verzerrte Wahrnehmung durch die Tauschhandlungen für die Akteure stets aufs Neue erzeugt, reicht eine theoretische Enthüllung nicht aus, um den Fetischismus und die mit ihm einhergehenden negativen Effekte zu beseitigen. Hierzu bedarf es der Umgestaltung der sozialen Strukturen, aus denen sich die Interpretationen der in ihnen agierenden Handelnden ergeben. Mit den Worten der berühmten elften These gesagt: Es reicht nicht aus, die Welt neu zu interpretieren oder, wie es heute gerne heißt, zu dekonstruieren.

 

"In der Tat befestigt sich der Wertcharakter der Arbeitsprodukte erst durch ihre Betätigung als Wertgrößen. Die letzteren wechseln beständig, unabhängig vom Willen, Vorwissen und Tun der Austauschenden. Ihre eigne gesellschaftliche Bewegung besitzt für sie die Form einer Bewegung von Sachen, unter deren Kontrolle sie stehen, statt sie zu kontrollieren." (S. 89)

 

Ein bis heute besonders prägnanter Effekt dieses Fetischismus, durch den soziale Relationen als Eigenschaften der Sachkonstellation erscheinen, besteht darin, dass die Rolle von Ursache und Wirkung sowie die Rolle von kontrollierenden und kontrollierten Effekten auf den Kopf gestellt sind. Dort wo die Menschen durch soziale Ordnungen, die man verändern kann, kontrolliert und gezwungen werden, nehmen sie dies als Sachzwänge wahr, zu denen es keine Alternativen gibt. An die Stelle von gestaltbaren sozialen Ordnungen treten die nicht beherrschbaren Effekte der uns kontrollierenden Dinge. Die Gesellschaft erscheint als eine abhängige Variable ökonomischer Konstellationen und Tatsachen, nicht als eine gestaltbare und rational organisierbare Größe, die ökonomische Konstellationen modifizieren und kontrollieren kann.

 

"Die Zirkulation sprengt die zeitlichen, örtlichen und individuellen Schranken des Produktenaustausches ebendadurch, daß sie die hier vorhandne unmittelbare Identität zwischen dem Austausch des eignen und dem Eintausch des fremden Arbeitsprodukts in den Gegensatz von Verkauf und Kauf spaltet. Daß die selbständig einander gegenübertretenden Prozesse eine innere Einheit bilden, heißt ebensosehr, daß ihre innere Einheit sich in äußeren Gegensätzen bewegt. Geht die äußerliche Verselbständigung der innerlich Unselbständigen, weil einander ergänzenden, bis zu einem gewissen Punkt fort, so macht sich die Einheit gewaltsam geltend durch eine – Krise. Der der Ware immanente Gegensatz von Gebrauchswert und Wert, von Privatarbeit, die sich zugleich als unmittelbar gesellschaftliche Arbeit darstellen muß, von besondrer konkreter Arbeit, die zugleich nur als abstrakt allgemeine Arbeit gilt, von Personifizierung der Sache und Versachlichung der Personen – dieser immanente Widerspruch erhält in den Gegensätzen der Warenmetamorphose seine entwickelten Bewegungsformen. Diese Formen schließen daher die Möglichkeit, aber auch nur die Möglichkeit der Krisen ein. Die Entwicklung dieser Möglichkeit zur Wirklichkeit erfordert einen ganzen Umkreis von Verhältnissen, die vom Standpunkt der einfachen Warenzirkulation noch gar nicht existieren." (S. 127f.)

 

Das soziale Wesen des Menschen wird in der kapitalistischen Gesellschaftsformation also über die Konstellation der Waren und in Form rational nicht geplanter Sachzwänge des Marktgeschehens realisiert. Die dem Tausch zugrunde liegende innere Einheit eines allgemeinen Gattungsvermögens ist in der Erscheinung in den Gegensatz isolierter individueller Interessen und Handlungen zerrissen. Dies ist nach Marx die mit den Mitteln der Denkfigur von Wesen und Erscheinung philosophisch erläuterbare Ursache für die Krisenanfälligkeit des Kapitalismus. Für sie greift eine rein ökonomische Krisentheorie, die sich nicht auf die Ebene von Wesen, Erscheinung und fetischisierender Verkehrung einlässt, zu kurz. Sein Projekt einer Kritik der politischen Ökonomie ist daher genuin philosophisch: Kritik einer bestimmten Gesellschaftsformation (des Kapitalismus) und Kritik einer zu kurz greifenden einzelwissenschaftlichen Analyse (politische Ökonomie).

 

"Die einfache Warenzirkulation – der Verkauf für den Kauf – dient zum Mittel für einen außerhalb der Zirkulation liegenden Endzweck, die Aneignung von Gebrauchswerten, die Befriedigung von Bedürfnissen. Die Zirkulation des Geldes als Kapital ist dagegen Selbstzweck, denn die Verwertung des Werts existiert nur innerhalb dieser stets erneuerten Bewegung. Die Bewegung des Kapitals ist daher maßlos." (S. 167)

 

Die Tauschhandlung ist die Grundlage des Kapitalismus. An ihr lässt sich der Fetischismus mit seinen sich stets aufs Neue reproduzierenden Verkehrungen philosophisch aufweisen. In seiner kapitalistischen Form gewinnt der Warentausch neue Qualitäten, die Marx mit den Kategorien des Selbstzwecks und der Maßlosigkeit charakterisiert. Sein Grundgedanke lautet: Während zwei Warenbesitzer Waren tauschen, um sie in letzter Instanz als Gebrauchswerte zu verwenden, dreht sich im Kapitalismus die Lage um. Der Kapitalist produziert Waren, um durch deren Verkauf mehr Tauschwert zu erzielen. Er investiert, um am Ende mehr Geld zu haben. Ihm geht es nicht um die Waren und deren Gebrauchswert, sondern allein um den Tauschwert. Stellt man diesen Prozess aus der Perspektive des Kapitals (als vergegenständlichter Tauschwert) dar, so lässt sich das Kapital (in einer bestimmten Menge) auf die Produktion und den Tausch von Waren als Gebrauchswerte ein, um am Ende wieder als Kapital (in einer größeren Menge) zu existieren. Das Kapital reproduziert sich in diesem Prozess selbst, und sein Ziel ist die rein quantitative Zunahme. Da es nicht auf Gebrauchswerte und damit auch nicht auf die Bedürfnisse der Menschen als Zweck ausgerichtet ist, hat es kein externes Maß. Für sich gelassen, wächst es um des Wachstums willen an.

 

"Die Sphäre der Zirkulation oder des Warenaustausches, innerhalb deren Schranken Kauf und Verkauf der Arbeitskraft sich bewegt, war in der Tat ein wahres Eden der angebornen Menschenrechte. Was allein hier herrscht, ist Freiheit, Gleichheit, Eigentum und Bentham. Freiheit! Denn Käufer und Verkäufer einer Ware, z.B. der Arbeitskraft, sind nur durch ihren freien Willen bestimmt. Sie kontrahieren als freie, rechtlich ebenbürtige Personen. Der Kontrakt ist das Endresultat, worin sich ihre Willen einen gemeinsamen Rechtsausdruck geben. Gleichheit! Denn sie beziehen sich nur als Warenbesitzer aufeinander und tauschen Äquivalent für Äquivalent. Eigentum! Denn jeder verfügt nur über das Seine. Bentham! Denn jedem von den beiden ist es nur um sich zu tun. Die einzige Macht, die sie zusammen und in ein Verhältnis bringt, ist die ihres Eigennutzes, ihres Sondervorteils, ihrer Privatinteressen. Und eben weil so jeder nur für sich und keiner für den andren kehrt, vollbringen alle, infolge einer prästabilierten Harmonie der Dinge oder unter den Auspizien einer allpfiffigen Vorsehung, nur das Werk ihres wechselseitigen Vorteils, des Gemeinnutzens, des Gesamtinteresses." (S. 189f.)

 

Bei der Analyse des Fetischismus hatte Marx darauf hingewiesen, dass sich im Bewusstsein der Akteure, die sich in diesen sozialen Strukturen bewegen, ein bestimmtes Verständnis der Situation einstellt. Dies gilt auch für das normative Selbstverständnis von Warenbesitzern, deren Grundspielregel der freiwillige Tausch von Äquivalenten auf Grundlage individueller Entscheidungen ist. Für diese soziale Konstellation sind die Normen von Freiheit und Gleichheit sowie die sozialen Institutionen des Privateigentums und des Rechts konstitutiv. Mit der Anspielung auf den Philosophen Jeremy Bentham greift Marx die Maßlosigkeit wieder auf: Im Utilitarismus Benthams ist die Quantität der alleinige Maßstab des Guten.

 

Marx hat die von ihm hier genannten Normen nicht für das letzte Wort gehalten, das eine philosophische Ethik auf die Frage nach einem guten Leben zu geben hat. Eine moralische Kritik des Kapitalismus, die sich auf die Forderungen von Freiheit, Gleichheit und Eigentum beschränkt, kann die Wurzel des Übels nicht erfassen. Denn diese Forderungen sind selbst die verkehrten Ausdrucksformen der im Kapitalismus stets aufs Neue erzeugten sozialen Relationen. Auf die beiden Anschlussfragen, ob Marx denn überhaupt eine normative Kritik im Sinn hatte, und wenn ja, wie diese auszusehen hätte, gibt uns sein Werk jedoch keine klare Antwort.

 

"Der Wert der Arbeitskraft und ihre Verwertung im Arbeitsprozeß sind also zwei verschiedne Größen. Diese Wertdifferenz hatte der Kapitalist im Auge, als er die Arbeitskraft kaufte. Garn oder Stiefel zu machen, war nur eine conditio sine qua non, weil Arbeit in nützlicher Form verausgabt werden muß, um Wert zu bilden. Was aber entschied, war der spezifische Gebrauchswert dieser Ware, Quelle von Wert zu sein und von mehr Wert, als sie selbst hat. (…) Der Umstand, daß die tägliche Erhaltung der Arbeitskraft nur einen halben Arbeitstag kostet, obgleich die Arbeitskraft einen ganzen Tag wirken, arbeiten kann, daß daher der Wert, den ihr Gebrauch während eines Tages schafft, doppelt so groß ist als ihr eigner Tageswert, ist ein besondres Glück für den Käufer, aber durchaus kein Unrecht gegen den Verkäufer." (S. 208)

 

Eine Antwort auf unsere Fragen lässt sich allerdings klar geben: Die Kritik der politischen Ökonomie von Marx ist keine Gerechtigkeitstheorie. Der Grund für die Inadäquatheit des Kapitalismus liegt nicht in einer Ausbeutung, die durch den Verstoß gegen das Äquivalenzprinzip zustande kommt. Im Rahmen der Binnenlogik des normativen Geflechts von Freiheit, Gleichheit und Eigentum geht alles mit rechten Dingen zu. Wenn man diese Gesellschaftsformation aus ethischer Sicht kritisieren will, muss man andere ethische Normen und Werte als Maßstab heranziehen. Diese aber legt Marx in seiner Kritik nicht offen.

 

Stattdessen ist er den anderen Weg gegangen, den er schon im Vorwort zur ersten Auflage angedeutet hat: Er setzt darauf, dass seine Theorie die immanenten Destabilisierungstendenzen des Kapitalismus richtig identifiziert hat. Vermutlich wollte er damit der Arbeiterbewegung eine Anleitung geben, um die Geburtswehen der neuen Gesellschaft abzukürzen. Marx war davon überzeugt, dass es zur Monopolbildung kommen muss und diese "zur Fessel der Produktionsweise [wird], die mit und unter ihm aufgeblüht ist. Die Zentralisation der Produktionsmittel und die Vergesellschaftung der Arbeit erreichen einen Punkt, wo sie unverträglich werden mit ihrer kapitalistischen Hülle. Sie wird gesprengt. Die Stunde des kapitalistischen Privateigentums schlägt. Die Expropriateurs werden expropriiert." (S. 790f.)

 

Der Kapitalismus hat sich bis heute als äußerst überlebensfähig erwiesen. Das sollte uns aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass er – global gesehen – nichts von seinen entfremdenden und inhumanen Auswirkungen eingebüßt hat. Es ist an der Zeit, das Vertrauen auf einen geschichtsphilosophischen Automatismus aufzugeben. Wir sollten vielmehr auf die Bereitschaft der Menschen setzen, sich auf der Grundlage ethischer Werte und Normen politisch für eine bessere Welt zu engagieren. Das ist mit dem marxschen Projekt einer Kritik der politischen Ökonomie gut vereinbar. Dies auszugestalten, hat er allerdings uns Heutigen überlassen.

 

Fußnoten

 

1.

Ich zitiere "Das Kapital" im Folgenden nach der Ausgabe Karl Marx/Friedrich Engels, Werke. Bd. 23, Berlin (Ost) 1956ff. Hervorhebungen des Originals werden nicht übernommen. Weiterführend Michael Quante/David Schweikard (Hrsg.), Marx-Handbuch: Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart 2015.

 

(Quelle: Autor: Michael Quante für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de)


M2: Adam Smith - an anderer Interpretationsansatz

 

Katja Scherer beschreibt in einer Buchbesprechung eines Buchs des österreichische Philosoph Gerhard Streminger Adam Smith aus der Sicht Stremingers als einen "falsch verstandenen Vordenker".

Sie führt aus, dass Smith "Werk dabei oft auf zwei Kernthesen [reduzierte werde]. Erstens: Arbeitsteilung ist effizient. Und zweitens: Ein freier Markt führt zu Wohlstand.

 

Adam Smith gilt daher als der Vordenker der Neoliberalen – also jener Gruppe von Volkswirten, die den Einfluss des Staates auf das Wirtschaftsgeschehen möglichst gering halten wollen. Tatsächlich sei aber gerade das nicht in Smiths Sinne gewesen, schreibt Gerhard Streminger in seiner Biografie:

 

„Der Autor der ‚Theorie der ethischen Gefühle‘ sowie des ‚Wohlstand der Nationen‘ hat sich gerade nicht für einen uneingeschränkten Markt eingesetzt. Vielmehr sollte der Staat in Smiths Gesellschaftsmodell den Marktteilnehmern rechtliche Leitplanken setzen, die sich am Gemeinwohl orientieren.“

Rechtliche Leitplanken

 

Wie aber kommt es zu diesem historischen Missverständnis? Um Werk und Wirken des schottischen Aufklärers zu erfassen, hat Streminger Smiths Leben in chronologischer Form nachvollzogen. Er beschreibt, wie der Sohn eines Rechtsanwalts durch das rege Treiben im Hafen seiner Heimatstadt Kirkcaldy schon früh mit dem freien Handel in Kontakt kommt:

 

„Der kleine Adam war daran offenbar so gewöhnt, dass er diese Form des ‚Tauschens‘ bzw. ‚Handelns‘ später […] als so natürlich wie Konversation beschreibt.“

 

Streminger skizziert, wie Smith in Oxford studiert und später in Glasgow zum renommierten Moralphilosophen aufsteigt, wo er auch sein erstes großes Werk veröffentlicht.

Das Wirken der unsichtbaren Hand

 

Erst sechzehn Jahre später dann, nach mühevoller Denk- und Schreibarbeit, liegt sein nächstes Buch vor: Der Wohlstand der Nationen, was heute auch als „Bibel der Ökonomie“ bezeichnet wird. Darin beschreibt Smith, dass die nicht beabsichtigten Folgen menschlichen Handelns zu einem gesellschaftlichen Zustand führen können, der besser ist, als der eigentlich angestrebte. Dies nennt er das Wirken einer unsichtbaren Hand. Streminger kommentiert:

 

„Die Beobachtung, dass Egoismus und Eitelkeit Einzelner die ökonomische Situation anderer fördern können, ist durchaus richtig. Höchst problematisch hingegen ist Smiths Behauptung, dass durch die Wirkung von Marktmechanismen beinahe dieselbe Gleichverteilung lebensnotwendiger Güter wie durch Eingriffe des Staates erreicht würde.“

Positive und negative Auswirkungen des Marktes

 

Genau auf dieser Behauptung Smiths basiert auch das historische Missverständnis seines Werkes: Ohne weiteres lässt sich aus diesen Sätzen ableiten, dass der Markt den Staat ersetzen könne. Ordnet man die Passage jedoch in den Kontext von Smiths Gesamtwerk ein, werde offensichtlich, dass der Vordenker das nicht gemeint haben kann, analysiert Streminger:

 

„Wie noch in der Besprechung des Wohlstands der Nationen näher ausgeführt wird, plädiert Smith […] nicht für den Markt als solchen, sondern für die Etablierung eines idealen Marktes. Unter idealen Marktbedingungen übernimmt der Staat sehr wohl zentrale Aufgaben, etwa hinsichtlich der Infrastruktur, der Bildung und der Kontrolle, dass sich Marktteilnehmer wie faire Sportler verhalten.“

 

Das gelte besonders, weil Adam Smith nicht nur die positiven, sondern auch die negativen Auswirkungen des Marktes gesehen habe:

 

„Jene Einrichtung, die für den ökonomischen Reichtum verantwortlich ist [...], die Arbeitsteilung, hat gesellschaftlich höchst bedenkliche Auswirkungen. Sie führt nämlich zur Verdummung und geistigen Verelendung der Massen. Dadurch werden demokratische Strukturen bedroht und gewinnen feudal-autoritäre Verhaltensweisen erneut an Einfluss.“

Angeborener Gerechtigkeitssinn

 

Der Staat sollte Smiths Ansicht nach daher nicht nur die schlimmsten Auswüchse von Armut bekämpfen, sondern auch für ausreichend Bildung sorgen. Letzteres war für ihn ein zentraler Aspekt für eine funktionierende Gesellschaft. Mit Bildung sei dabei nicht Schulwissen oder das Erlernen eines bestimmten Berufes gemeint, erläutert sein Biograf Streminger. Bildung bedeute, dass ein Mensch sich in die Situation anderer hineinversetzen und neutral über eine Sache urteilen könne. Überhaupt: Die Dinge mit Distanz zu betrachten, ist für das moralphilosophische Konzept von Smith eine unerlässliche Eigenschaft. Der Aufklärer geht davon aus, dass jeder Mensch über einen angeborenen Gerechtigkeitssinn verfüge, schreibt Streminger:

 

„Zwar sind wir auch von Eigeninteresse geleitet, doch sind Menschen keinesfalls triviale Nutzenmaximierungsmaschinen. […] Menschen sind mehrdimensionale Wesen, die sich nicht nur an der eigenen Besserstellung erfreuen, sondern auch persönlichen Gefallen daran finden, wenn es anderen gut geht und der Tausch von Gütern gerecht und fair erfolgt. Wer übervorteilt oder betrügt, kurz: unethisch handelt, kann sich keinen Freibrief von Adam Smith holen.“

 

Smith stellt also hohe Ansprüche an jedes einzelne Mitglied einer Gesellschaft – möglicherweise sogar zu hohe, meint Streminger. So nähmen wir in aller Regel zwar Anteil am Leben unserer Angehörigen, Freunde und Bekannten. Echtes Mitgefühl für Menschen, mit denen man nicht in einer direkten Beziehung steht, sei dagegen ein Luxusgefühl.

Kein Freibrief für unethisches Verhalten

 

Luxusgefühl oder nicht – Streminger schafft es in seiner Biografie, solche abstrakten moralphilosophischen Fragen anschaulich darzustellen. Das gelingt, weil er nicht nur Smiths Gedankenwelt beschreibt, sondern auch dessen Wesen. Er berichtet, wie der zerstreute Professor in Diskussionen teils den Faden verliert. Und er erzählt, wie der Moralphilosoph bei einem Vortrag in einer schottischen Gerberei so wild gestikuliert, dass er aus Versehen in eine Grube mit Tierkadavern plumpst.

 

Die Analyse ergibt, dass Smiths Werk durchaus Schwächen hat. Viel wichtiger ist aber die Erkenntnis, dass der schottische Ökonom die starke Rolle des Marktes, die heute oft propagiert wird, niemals in Reinform eingefordert hat. Eine Gesellschaft ohne starken Staat kann genauso wenig funktionieren wie eine Gesellschaft ohne freien Markt, so lautete Smiths These. Wie Gerhard Streminger aufzeigt, kann es also sicherlich helfen, sich die Werke von Adam Smith noch einmal vorzunehmen – und zwar nicht nur die ersten paar Seiten."

(Quelle: https://www.deutschlandfunk.de/oekonomie-falsch-verstandener-vordenker.1310.de.html?dram:article_id=382789)


M3: Angebot und Nachfrage


M4: ökonomische Verhaltenstheorie I: Homo Oeconomicus

 

Der Homo Oeconomicus ist eine Modellvorstellung der Wirtschaftstheorie eines idealen, ausschließlich nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten denkenden und handelnden Menschen. Der Homo oeconomicus kennt nur ökonomische Ziele und ist besonders durch Eigenschaften wie rationales Verhalten, das Streben nach größtmöglichem Nutzen (Nutzenmaximierung), die vollständige Kenntnis seiner wirtschaftlichen Entscheidungsmöglichkeiten und deren Folgen sowie die vollkommene Information über alle Märkte und Eigenschaften sämtlicher Güter (vollständige Markttransparenz) charakterisiert. Das Ideal des Homo oeconomicus dient dazu, elementare wirtschaftliche Zusammenhänge in der Theorie durchsichtig und ohne praktische Unzulänglichkeiten beschreiben zu können.

(Quelle: Duden Wirtschaft von A bis Z: Grundlagenwissen für Schule und Studium, Beruf und Alltag. 6. Aufl. Mannheim: Bibliographisches Institut 2016. Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2016.)


M5: ökonomische Verhaltenstheorie II: Abschied vom Homo Oeconomicus und die Verhandlungstheorie

 

In DIESEM INTERVIEW erläutert der Ökonom Axel Ockenfels, warum die Vorstellung des Homo Oeconomicus in der realen Welt nicht vollumfänglich haltbar ist und welche Vorteile die sogenannte Verhandlungstheorie hat.