zu erledigen bis:          40. Kalenderwoche (Dienstag)


A. Was ist Politik?

  1. Wenn man von Politik redet, kommen einem als erstes meistens Politiker in den Sinn. Und deren Reden. Schau dir also als Einstimmung zunächst einmal Loriots satirische Bundestagsrede an (M1). Nur anschauen. Nichts herausarbeiten. Aber vielleicht muss ja der eine oder andere wenigstens schmunzeln... ;) ... obwohl.... doch vielleicht eine kleine Aufgabe. Aber wirklich nur klein. Beantwortet folgende Frage: Warum ist das lustig (bzw. warum finden das viele Leute lustig?)?
  2. Erläutere anhand von jeweils einem Beispiel die vier Elemente des in M2 vorgestellten Politikbegriff

B. "Gesellschaft"

  1. Arbeite die wesentlichen Punkte aus M4 heraus. 


M1: Loriot: Bundestagsrede


M2: Der Begriff "Politik"

 

Der Politikwissenschaftler Werner Patzelt schreibt in seinem Standardwerk "Einführung in die Politikwissenschaft" über den Begriff Politik folgendes:

"Eine (...) umfassende, zugleich aber klare, auch von der Alltagssprache her verständliche und immer mehr zum politikwissenschaftlichen Gemeinbesitz werdende Definition von Politik lautet: Politik ist jenes menschliche Handeln, das auf die Herstellung und Durchsetzung allgemein verbindlicher Regelungen und Entscheidungen (...) in und zwischen Gruppen von Menschen abzielt. (...)

Schon hinter dem ersten Element des vorgestellten Politikbegriffs, nämlich der Aussage, Politik sei menschliches Handeln, verbergen sich sehr wichtige und folgenreiche Sachverhalte:

Menschliches Handeln ist von Normen, Interessen, Wertvorstellungen und Weltanschauungen geprägt."

 

Patzelt fährt fort mit folgender Feststellung: "Weil Berechnung und Taktik ebenso wie Gefühle und Irrationales das menschliche Handeln prägen können, sind auch diese psychischen Voraussetzungen im oben eingeführten Politikbegriff enthalten. 

Menschen beziehen ihre Handlungen auf die Handlungen anderer Menschen. Man macht beispielsweise seine Wahlentscheidung abhängig davon, was man über das Verhalten von Parteien und ihren Kandidaten erfahren hat (...), und man taktiert bei einer Diskussion je nach den Einlassungen und Argumentationen der anderen Debattenteilnehmer recht unterschiedlich. In all dem wird deutlich: Sowohl mit dem Handeln eines Anderen als auch mit dem eigenen Handeln verbindet man Sinn (...)."

 

Patzelt argumentiert, dass dieses gegenseitige Handeln - Max Weber folgend - als "soziales Handeln" bezeichnet werden kann. Daraus folgert er, dass "jenes soziale Handeln, das auf die Herstellung allgemeiner Verbindlichkeit abzielt, wird "politisches Handeln" genannt. (...) Das (...) Handeln zielt nun immer wieder ab auf (...) die Herstellung und Durchsetzung von allgemein verbindlichen Regelungen bzw. Entscheidungen in und zwischen diese Gruppen. (...) Diesem zweiten Element des Politikbegriffs liegt [folgender] Gedankengang zugrunde: Wo Menschen zusammenleben, muss unter ihnen immer wieder Klarheit über die Regeln geschaffen werden, die für sie gelten sollen. Dies wird auf den Begriff gebracht, dass Politik auf die Herstellung allgemeiner Verbindlichkeit zielt. Allgemeine Verbindlichkeit wird konkret in verpflichtenden Entscheidungen sowie in Regeln, an die sich jeder Handlungspartner zu halten hat (...). Diese Regeln können informell sein wie Tischsitten oder formal wie Gesetze. (...) Sie können auf Dauer gelten oder lediglich die allgemein verbindliche Behandlung eines Einzelfall betreffen; und ihre Einhaltung kann mit Strafdrohungen unterschiedlichster Art und Schwere gesichert werden.

 

Es leuchtet ein, dass der Regelungsbedarf einer Gesellschaft mit ihrer zunehmenden Komplexität (...) ansteigt. (...) Politik [ist dann] jenes Handeln, das den Bedarf an verbindlichen Regelungen und Entscheidungen zu befriedigen versucht. (...)

Das dritte Element des hier vorgestellten Politikbefriffs besagt: Allgemeine Verbindlichkeit ist ein angestrebtes, kein von vornherein gegebenes Produkt von Politik. Denn der Versuch, allgemein verbindliche Regelungen oder Entscheidungen herbeizuführen, kann gelingen oder scheitern, und natürlich stellen auch vergebliche Versucheder Herstellung allgemeiner Verbindlichkeit politisches Handeln dar. (...)

 

Das vierte Element dieses Politikbefriffs ergibt sich aus dem bislang Gesagten: die Grundformen von Politik sind überall zu entdecken ("Ubiquität" von Politik). Die Formen und Praktiken, mittles welcher die Herstellung von Verbindlichkeit versucht werden kann, sind nämlich nicht nur im Bereich des öffentlichen Lebens oder des Staates aufzufinden. Vielmehr lässt sich zeigen, dass oft die gleichen Verhaltensweisen und Praktiken benutzt werden, um in einem Fußballverein oder im Kreisverband einer Partei Einfluss zu gewinnen, um in einem Konzern oder in einer Regierung Führung auszuüben oder um Konkurrenten im Wirtschaftsleben bzw. in der Politik auf Abstand zu halten. Der Bereich der Herstellung allgemeiner Verbindlichkeit (bzw. des "Staatslebens") stellt darum nur ein besonderes Anwendungsgebiet von Methoden dar, die überhaupt der Herstellung von Verbindlichkeit dienen. Indem der Politikbefriff so breit gefasst wird, dass er alle derartigen Methoden umgreift, lenkt er die Aufmerksamkeit auch auf die scheinbar "unpolitischen" Aspekte politischen Handelns, zumal auf dessen "private", informelle und alltägliche Seiten."

(alle Zitate aus: Patzelt, Werner J.: Einführung in die Politikwissenschaft, 6.Aufl. Passau 2007, S.22 - 28)


und wer die Aufgaben bis hierhin bearbeitet hat, darf sich legendäre Stoiber-Rede anhören. Ein Leckerbissen der politischen Kommunikation....ein Meister seines Faches gar.


So, und weiter geht's.

 

M3: Gesellschaft (G.)

 

Begriff und Begriffsgeschichte

 

 

G. ist ein vielschichtiger Begriff, der von der Tischg. bis zur Reiseg., von der G. der Musikfreunde bis zur Aktieng. reicht. Die Verbundenheit oft sehr heterogener Personen für einen bestimmten Zweck, ob kurz- oder längerfristig, ist entscheidend.

 

Dem Wortursprung nach bedeutet G. die Vereinigung oder ein Beisammensein mehrerer Gefährten. In der deutschen Sprachentwicklung ist G. mit Gemeinschaft und Genossenschaft verknüpft. Wichtiger war die griech. und die lat. Begriffsgeschichte. Seit Plato (428–348) und Aristoteles (384–322) hat der Begriff (lat. societas civilis) einen bis heute beibehaltenen Sinn: G. umfasst eine größere Gruppe von Menschen (wie z. B. in der polis, dem Stadtstaat der Griechen), die in einem Zusammenhang wechselseitig eingebrachter Interessen und Fähigkeiten stehen, auf einem klar definierten Territorium leben, sich als politische und soziale Einheit begreifen und außerhalb ihrer Grenzen auch so wahrgenommen werden. Zu ergänzen ist die anthropologisch fundierte Aussage, „dass der Mensch von Natur ein nach der staatlichen Gemeinschaft strebendes Wesen“ (zoón politikón) ist (Aristoteles, Politik, 1278b).

 

In allen Etappen der europäisch-abendländischen Staats- und G.stheorie blieb der antike Kerngedanke von bürgerlicher G. und schützendem Staat erhalten (Überblick bei Riedel 1975). Er lebte weiter im Bürgertum der mittelalterlichen Städte und Stadtrepubliken. Unter den Bedingungen des Frühkapitalismus, der Aufklärung und der bürgerlichen Revolutionen bildete sich die spezifische Form der bürgerlichen G. der Neuzeit heraus, als eine vom Liberalismus geprägte Marktg., als politisch-nationale Einheit und als Rechtsg., die die Freiheitsrechte aller Menschen zur Geltung bringt und sichert.

 

Die Staats- und G.stheorie von G. F. W. Hegel (1770–1831) konzipierte auf den Grundlagen v. a. der aristotelischen Philosophie, nunmehr unter den Vorzeichen der industriellen und französischen Revolution 1789 ff., einen bis heute wirksamen G.sbegriff: Familie, bürgerliche G. und Staat sind die Basisinstitutionen einer durchgängig auf Recht beruhenden G.sformation, wie Hegel in seinen „Grundlinien der Philosophie des Rechts“ (zuerst 1821) ausführte.

 

D als Staats- und G.ssystem ist nach seinem „G.svertrag“ (J.-J. Rousseau, 1762) dem Typus bürgerliche G. zuzuordnen. Konstitutiv ist die Trennung von G. und Staat. Während der Staat für die innere, rechtliche, soziale und äußere Sicherheit zuständig ist, kann G. als Handlungssphäre der freien Bürger bezeichnet werden; sie können sich nach ihren Vorstellungen in Vereinen und Genossenschaften assoziieren und in den Institutionen (wie Familie) und G.en des bürgerlichen Rechts (BGB) durch Verträge zusammenschließen. Entwicklungen hin zu einer „Verstaatlichung der G.“ und einer „Vergesellschaftung des Staates“, die sich in den letzten Jahrzehnten verstärkt haben, verwischen allerdings die Differenz von Staat und G.

In der DDR (1949–1990) war, wie in allen sozialistischen G.en, diese Differenz, theoretisch und praktisch, aufgehoben. Der Staat der bürgerlichen G. sei nur eine „Agentur für Kapitalinteressen“, unter deren Dominanz die bürgerliche Sphäre insgesamt gerate.

 

 

G. im soziologischen Verständnis

 

Die Entwicklung der Soziologie ist mit der Herausbildung der bürgerlichen G. eng verknüpft. Sieht man von wichtigen Vorläufern ab, zu denen L. von Stein (1815–1890) und W. H. Riehl (1823–1890) zählen, die beide von Hegels Rechtsphilosophie ausgingen, so hat erst F. Tönnies (1855–1936) einen spezifisch soziologischen G.sbegriff entwickelt. In „Gemeinschaft und Gesellschaft“ (zuerst 1887) analysierte er die Entwicklung von der ständisch-feudalen, agrarischen G. zur modernen Industrieg. mit ihren Trends der Anonymisierung in den größer werdenden Städten und der Verselbstständigung des Individuums. So lässt sich nach Tönnies G. denken, „als ob sie in Wahrheit aus getrennten Individuen bestehe, die insgesamt für die allgemeine G. tätig sind, indem sie für sich tätig zu sein scheinen“. War das „Zeitalter der Gemeinschaft (…) durch den sozialen Willen als Eintracht, Sitte, Religion bezeichnet“, so ist es das der G. „durch den sozialen Willen als Konvention, Politik, öffentliche Meinung“ (Tönnies 1963, S.  251).

 

Zu den Grundlagen der industriell-bürgerlichen G. gehören: die Freisetzung des Einzelnen zu selbst gewählter Familienbildung, freie Wahl von Ausbildung und Arbeitsplatz und der Zugehörigkeit zu Vereinen und sozialen Gruppen sowie die Ablösung bisheriger, ständischer und städtischer Formen der gesundheitlichen und sozialen Fürsorge durch gesamtgesellschaftliche (bzw. staatliche) Institutionen. Voraussetzung für das Wirksamwerden dieser Trends war die Ausdifferenzierung und weitgehende Autonomisierung aller gesellschaftlichen Teilbereiche: Recht und Politik, Markt und Produktion, Religion und Kirche, Kultur und Bildung, Arbeit und Freizeit.

 

G. wird mit unterschiedlichen Akzentuierungen in allen soziologischen Makrotheorien thematisiert: Strukturfunktionalismus (T. Parsons, R.K. Merton), Systemtheorie (N. Luhmann), Theorie der Frankfurter Schule (T.W. Adorno, J. Habermas), Modernisierungstheorie (Zapf 1970). Für Luhmann (1927–1998) ist G. „das umfassende soziale System, das alle anderen sozialen Systeme in sich einschließt“ (1998, S. 78).

 

 


 

Quelle: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 8., aktual. Aufl. Heidelberg: Springer VS 2021. Autor des Artikels: Bernhard Schäfers