zu erledigen bis: Kalenderwoche 3 (Freitag)


Aufgaben 

  1. Arbeite aus M1 die Argumente des Autors heraus, warum wir in Deutschland in einer "offenen Gesellschaft" leben. (Und ja, das ist ein langer Text. Aber es ist ja auch das Schwerpunktthema...)
  2. Analysiere ausgehend von M2 - M4 die Bildungschancen in Deutschland. (Den Leitfaden zur Analyse von Statistiken findet ihr unter Arbeitstechniken. Euch müssten bei den Statistiken übrigens sofort Kritikpunkte auffallen...)
  3. M5 ist eine ausgesprochen interessante Vorlesung an der Universität Paderborn. Diese ist als Hintergrund sehr zu empfehlen.

M1: Die offene Gesellschaft (Rainer Geißler)

 

Rainer Geißler war Soziologe und Politiker und einer der einflussreichsten Sozialstrukturanalytiker in Deutschland. Er charakterisiert die deutsche Gesellschaft in einem Beitrag von 2012 wie folgt:

 

"Die deutsche Gesellschaft ist eine moderne und offene Gesellschaft: Die meisten Menschen verfügen über eine gute Ausbildung, einen international betrachtet hohen Lebensstandard und über entsprechende Freiräume zur individuellen Lebensgestaltung. Gleichwohl steht die deutsche Gesellschaft, ähnlich wie andere große Industrienationen, vor der Herausforderung, Probleme der demografischen Entwicklung, insbesondere die Alterung der Bevölkerung, zu lösen. Auch die gesellschaftlichen Folgen der deutschen Teilung sind nach zwei Jahrzehnten der Wiedervereinigung noch nicht völlig beseitigt. Im Zuge der Globalisierung hat sich Deutschland zudem auf den Weg zu einer modernen Einwanderungsgesellschaft mit zunehmender ethno-kultureller Vielfalt begeben und seine Bemühungen verstärkt, die Migranten angemessen in die Kerngesellschaft zu integrieren. Der sozioökonomische Wandel der vergangenen Jahre – beschleunigt durch die Folgen der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise – hat zum Entstehen neuer sozialer Risikolagen geführt und zu einer sich abzeichnenden stärkeren Auffächerung der Gesellschaft nach ökonomischen Lebensverhältnissen.[...].

 

Die Trends der demografischen Entwicklung

 

Für die demografische Entwicklung in Deutschland sind drei Trends kennzeichnend: eine niedrige Geburtenrate, die steigende Lebenserwartung und die Alterung der Gesellschaft. Seit mehr als drei Jahrzehnten befindet sich Deutschland in einem Geburtentief: Die Zahl der Geburten liegt seit 1975 mit leichten Schwankungen bei etwa 1,3 Kindern pro Frau. Die Kindergeneration ist also seit 35 Jahren um etwa ein Drittel kleiner als die Elterngeneration. Hohe Zuwanderungsraten nach Westdeutschland verhinderten, dass die Bevölkerung entsprechend schrumpfte. Gleichzeitig stieg die Lebenserwartung der Menschen, ähnlich wie in vielen anderen wohlhabenden Ländern, kontinuierlich an. Sie beträgt mittlerweile bei Männern 77 Jahre und bei Frauen 82 Jahre.

 

Die steigende Lebenserwartung und noch mehr die niedrigen Geburtenzahlen sind die Ursache für den dritten Trend: Der Anteil junger Menschen an der Gesamtbevölkerung geht zurück, gleichzeitig nimmt der Anteil der älteren Menschen zu. [...] Die Alterung der Gesellschaft ist somit eine der größten Herausforderungen an die Sozial- und Familienpolitik. Das Rentenversicherungssystem befindet sich deshalb schon seit längerem im Umbau: Der traditionelle Generationenvertrag wird infolge der demografischen Entwicklung immer weniger finanzierbar und muss durch private Vorsorge fürs Alter ergänzt werden. Zudem werden, zum Beispiel durch Erhöhung des Kindergeldes oder den Ausbau der Kindergarten- und Krippenplätze, verstärkt familienpolitische Maßnahmen zur Erhöhung der Kinderzahl umgesetzt.

 

Familie als wichtige soziale Institution

 

Auch in der hoch individualisierten und hoch mobilen Welt des 21. Jahrhunderts ist es die Familie, der für die Menschen zentrale Bedeutung zukommt. Sie ist weiterhin eine der wichtigsten sozialen Institutionen. Für fast 90 Prozent der Bevölkerung steht die Familie an erster Stelle ihrer persönlichen Prioritäten. Auch unter jungen Menschen genießt sie hohe Wertschätzung: 72 Prozent der 12- bis 25-Jährigen sind der Meinung, dass man eine Familie zum Glücklichsein braucht.

 

Doch die Vorstellungen darüber, wie eine Familie typischerweise auszusehen hat, sowie die Struktur der Familie haben sich im Zuge des sozialen Wandels stark verändert. In der traditionellen bürgerlichen Familie versorgte ein auf Dauer verheiratetes Ehepaar mehrere Kinder in strikter Rollentrennung: der Vater als berufstätiger Ernährer, die Mutter als Hausfrau. Dieses „Ernährermodell“ wird auch noch gelebt – zum Beispiel solange die Kinder noch klein sind –, aber es ist nicht mehr die vorherrschende Lebensform.

 

Die Formen des Zusammenlebens sind erheblich vielfältiger geworden. Die Freiräume, zwischen verschiedenen Familienformen zu wählen oder auch ganz auf eine Familie zu verzichten, haben sich signifikant erweitert. Das hat nicht unerheblich mit der Gleichberechtigung und der veränderten Rolle der Frau zu tun: Rund 65 Prozent der Mütter sind berufstätig, gleichzeitig sind die Familien kleiner geworden. Ein-Kind-Familien tauchen häufiger auf als Familien mit drei und mehr Kindern. Am verbreitetsten ist die Zwei-Kind-Familie. Auch ein Leben ohne Kinder – als Paar oder allein – wird immer öfter geführt. 2008 war jede fünfte Frau zwischen 40 und 44 Jahren kinderlos geblieben.

 

Steigende Ansprüche an die Partnerschaft

 

Nicht nur die Lebensformen, auch die Wertesysteme und moralischen Grundhaltungen unterliegen einem konstanten Wandel. Partnerschaftliche Treue ist zwar weiterhin ein wichtiger Wert, doch die Norm, eine Lebensgemeinschaft auf Dauer einzugehen, hat sich gelockert. 2008 beispielsweise betrug die durchschnittliche Ehedauer bei der Scheidung 14,1 Jahre. Die Ansprüche an die Qualität einer Partnerschaft sind dagegen gestiegen. Dies ist einer der Gründe dafür, warum inzwischen etwa jede dritte Ehe, die in den vergangenen Jahren geschlossen wurde, wieder geschieden wird. Deutlich zugenommen haben im Zuge dieser Entwicklung nichteheliche Lebensgemeinschaften. Auch die Zahl von Lebensgemeinschaften gleichgeschlechtlicher Partnerschaften ist deutlich angestiegen. Seit 2001 ermöglicht ein Gesetz zwei Menschen gleichen Geschlechts die Begründung einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft.

 

Besonders bei jüngeren Menschen oder nach dem Scheitern einer Ehe ist die „Ehe ohne Trauschein“ beliebt. So stieg auch die Zahl der nichtehelichen Geburten an: Fast ein Drittel aller Kinder wird nichtehelich geboren. Eine Folge dieses Wandels zeigt die Zunahme sogenannter Patchwork-Familien sowie der Alleinerziehenden: Rund ein Fünftel aller Gemeinschaften mit Kindern sind Alleinerziehende, und dies sind in der Regel alleinerziehende Mütter.

 

Auch die innerfamiliären Verhältnisse und Erziehungsmodelle haben sich zivilisatorisch fortentwickelt. Die generationellen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern sind oft ausgesprochen gut und werden meist nicht mehr durch überkommene Erziehungsmuster wie Gehorsam, Unterordnung und Abhängigkeit, sondern durch Mitsprache und Gleichberechtigung, Zuwendung, Förderung und Erziehung zur Selbstständigkeit geprägt.

 

Frauen und Männer im Berufsleben

 

Die im Grundgesetz geforderte Gleichberechtigung der Frauen ist in Deutschland – so wie in anderen modernen Gesellschaften auch – ein erhebliches Stück vorangekommen. So haben im Bildungsbereich die Mädchen die Jungen nicht nur eingeholt, sondern inzwischen sogar überholt. An den Gymnasien stellen sie 56 Prozent der Abiturienten; der Anteil junger Frauen an den Studienanfängern der Hochschulen beträgt 50 Prozent, 42 Prozent der Doktortitel werden an Frauen verliehen.

 

Ein Haupthindernis beim beruflichen Aufstieg liegt darin, dass das Netz der Betreuungseinrichtungen für kleine Kinder im europäischen Vergleich noch optimiert werden muss. Auch an der häuslichen Arbeitsteilung hat sich nur vergleichsweise wenig verändert. Obwohl 80 Prozent der Väter angeben, sie möchten mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen, investieren selbst berufstätige Frauen doppelt so viel Zeit in die Kinderbetreuung. [...]

 

Migration und Integration

 

Die deutsche Wirtschaft ist seit dem Nachkriegsboom der 1950er-Jahre auf Arbeitsmigranten angewiesen. Die meisten der damals sogenannten „Gastarbeiter“ sind in ihre süd- und südosteuropäischen Heimatländer zurückgekehrt, aber viele sind zum Leben und Arbeiten in Deutschland geblieben. Geblieben sind auch viele der später zugewanderten türkischen Migranten. Deutschland hat sich allmählich von einem Gastarbeiterland zu einem Land mit gesteuerter Zuwanderung entwickelt. Eine zweite große Gruppe von Einwanderern bilden die deutschstämmigen Aussiedler, die seit vielen Generationen in den Staaten der früheren Sowjetunion, in Rumänien und in Polen gelebt haben und – verstärkt nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Systeme – nach Deutschland zurückkehren.

 

Diese beiden Einwanderungen hatten zur Folge, dass die Anzahl der Zuwanderung pro Kopf der Bevölkerung in Deutschland in den 1980er-Jahren sogar erheblich höher lag als in klassischen Einwanderungsländern wie den USA, Kanada oder Australien. Derzeit leben mehr als 18 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland. Nach der Definition des Statistischen Bundesamtes zählen dazu alle Personen, die nach Deutschland zugewandert sind, sowie in Deutschland Geborene mit mindestens einem zugewanderten Elternteil. Etwa 7 Millionen von ihnen sind Ausländer, rund 9 Millionen haben die deutsche Staatsangehörigkeit – von Geburt an, weil ein Elternteil deutsch ist, durch Einbürgerung oder weil sie zu den 4 Millionen deutschstämmigen Aussiedlern gehören. Nach den Aussiedlern stellen die Zuwanderer aus der Türkei mit 2,5 Millionen die größte Gruppe, weitere 1,5 Millionen stammen aus dem früheren Jugoslawien oder dessen Nachfolgestaaten. Die Zahl der in Deutschland lebenden Muslime wird auf 4 Millionen geschätzt.

 

Viele Migranten arbeiten als Ungelernte, da Deutschland insbesondere Arbeitskräfte für einfache Tätigkeiten anwarb. Studien haben gezeigt, dass es Migrantenfamilien in Deutschland schwer haben, sozial aufzusteigen oder ihre wirtschaftliche Situation zu verbessern. Dennoch sind bei der Integration in den vergangenen beiden Jahrzehnten Fortschritte erzielt worden: Der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit wurde gesetzlich erleichtert, die Kontakte zwischen Migranten und Deutschen sind intensiver, die Akzeptanz der ethno-kulturellen Vielfalt hat zugenommen."

(Quelle: Geißler, Rainer: Die offene Gesellschaft; auf: www.deutschland.de, 2012)

 


M2: Wer auf's Gymnasium kommt.

M3: Wer an die Uni kommt.


M4: Und wie sieht es bei Kindern mit Migrationshintergrund aus?

 

"Betrachtet man nur die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die 2014 ihren Abschluss gemacht haben, ergibt sich (in Prozent der Wohnbevölkerung im jeweils typischen Abschlussalter und unterschieden nach Deutschen und Ausländern):

  • Rund 20 Prozent der deutschen und rund 40 Prozent der ausländischen Schüler gingen mit Hauptschulabschluss ab.
  • 55 Prozent der deutschen und knapp 56 Prozent der ausländischen Jugendlichen erlangten einen Mittleren Schulabschluss.
  • 13 Prozent der deutschen und 8 Prozent der ausländischen Schüler verließen die Schule mit Fachhochschulreife.
  • Etwa 44 Prozent der deutschen und 16 Prozent der ausländischen Schüler machten Abitur und
  • Rund 5 Prozent der deutschen und 13 Prozent der ausländischen Jugendlichen verließen die Schule ohne Hauptschulabschluss."

(Datenquelle: 11. Lagebericht der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, ausgewertet durch:  Medien-Dienst Integration)


M5: Bildung und soziale Ungleichheit", Prof. Dr. Michael Hartmann